Wer zu spät bremst …

Weiterbau trotz Mangelkenntnis


Verzögert ein Bauherr die Mangelbeseitigungsentscheidung, kann sich der Bautenstand durch Fortsetzung der Arbeiten verändern. Wie wirkt sich dies auf die Mangelbeseitigungspflicht aus?

Fundstelle:
OLG Stuttgart, Urteil vom 16.05.2017 – 10 U 62/16 (Nichtzulassungsbeschwerde bei BGH zurückgenommen)

 

Sachverhalt

Ein Hauseigentümer möchte sein Wohn- und Geschäftshaus sanieren. Er beauftragt einen Architekten mit den entsprechenden Planungs- und Bauüberwachungsleistungen (entsprechend der Leistungsphasen 1 bis 8).

Während der Bauzeit nimmt der Rohbauunternehmer Ende April 2012 die Schalung und Betonage des Ringankers für den neuen Anbau vor. Zwei Wochen später, Mitte Mai 2012, werden die Aufleger für die neuen Stahlträger freigelegt und der erste der neuen T-Träger angebracht. Am 13. Juni 2012 ist die gesamte Dachkonstruktion fertiggestellt.

Fünf Tage später, am 18.06.2012, misst der Architekt erstmalig die Raumhöhe nach – und stellt entsetzt fest, dass die Konstruktion des Rohbauers nicht die planmäßige Höhe aufweist, weshalb die Stahlträger 5 cm tiefer zu liegen kommen. Er informiert sofort den Bauherrn über diesen Mangel.

Der Bauherr rügt den Mangel gegenüber dem Rohbauer, veranlasst aber im Übrigen nichts – insbesondere keinen Baustopp.

Das Bauvorhaben wird, ohne dass eine Nacherfüllung durch den Rohbauer erfolgt wäre, sodann fortgeführt und ohne Änderung der Höhenlage der Stahlträger fertiggestellt; gerade noch rechtzeitig vor dem Mietbeginn eines Unternehmens Anfang August 2012.

Der Bauherr verlangt von dem Architekten die Kosten des Rückbaus und Neubaus des Anbaus und rechnet mit diesen gegenüber der Schlussrechnung des Architekten auf. Der Architekt klagt daraufhin sein Honorar ohne Abzüge ein.

Zu Recht?

 

Problematik

Der Architekt hat vorliegend möglicherweise zentrale Tätigkeiten der Bauüberwachung nicht richtig und nicht rechtzeitig erbracht: die Höhenkontrolle eines Neubaus. Dadurch ist der Fehler des Rohbauers bzgl. der Höhe des Ringankers und der Stahlträger nicht sofort aufgefallen – er war nach den späteren Feststellungen des Gerichts jedenfalls am 13.06.2012 feststellbar.

Die Bauüberwachung ist eine besonders wichtige Aufgabe des Architekten, deren praktische Bedeutung sich bereits dadurch zeigt, dass die HOAI hierfür fast ein Drittel des Gesamthonorars (früher 31%, seit 2013: 32%) vorsieht. Daher sind an den Architekten auch besondere Anforderungen zu stellen. Er muss sich durch Baustellenbesuche ein zuverlässiges Bild vom Baufortschritt machen und sich vergewissern, dass die Umsetzung der planerischen Vorgaben den Anforderungen entspricht, und ob seinen Weisungen Folge geleistet. Der Umfang der im Rahmen der Bauüberwachung zu erbringenden Leistungspflichten ist dabei nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmen.

Aber der Architekt ist nicht allein auf der Baustelle – auch der Bauherr ist eingebunden und schuldet erforderlichenfalls Mitwirkungshandlungen.

Eine solche Handlung ist z.B. die Entscheidung, wie mit Mängeln umzugehen ist. Der Besteller hat bei Mängeln gesetzlich Wahlrechte zwischen verschiedenen Mangelansprüchen, und auch das Wahlrecht, ob und wie er überhaupt Nacherfüllung, Minderung, Schadensersatz oder nichts davon einfordert.

Vorliegend hat der Bauherr am 18.06.2012 Kenntnis vom Mangel erhalten. Er hat auch erfahren, dass der Architekt den Rohbauer zur Nacherfüllung in Form des Neubaus mit planrichtigen Höhen aufgefordert hat. Er hat keine eigenen Handlungen entfaltet, insbesondere nicht verhindert, dass weiter gebaut wurde.

Wie ist dieses Spannungsverhältnis der Handlungen und Entscheidungen von Architekt und Bauherr aufzulösen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Bauherr zeitlich wegen des anstehenden Mietverhältnisses unter Druck stand, der Architekt aber erst spät gemessen und festgestellt hat, was den Zeitdruck noch weiter verschärft hat?

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in der Entscheidung differenziert und keiner der beiden Seiten vollständig recht gegeben.

Der Architekt wurde zum Schadensersatz verurteilt. Er hat – gesamtschuldnerisch mit dem Rohbauer haftend – zu vertreten, dass er die Raumhöhe am 13.06.2012 nicht nachgemessen hat, um festzustellen, ob/dass planmäßige Höhen eingehalten wurden. Diese Aufgabe hat das OLG Stuttgart ihm eindeutig als Teil seiner geschuldeten Tätigkeiten der Bauüberwachung (entsprechend der Leistungphase 8) zugewiesen und festgehalten, dass er eine Pflichtverletzung begangen hat, als er dieses Nachmessen nicht erbracht hat.

Allerdings darf sich ein bauaufsichtsführender Architekt bei allgemein üblichen, einfachen und gängigen Arbeiten, den sogenannten handwerklichen Selbstverständlichkeiten, regelmäßig auf die Zuverlässigkeit der Bauausführung verlassen, sofern er keinen besonderen Anlass zur Kontrolle hat. Er hatte vorliegend also während der Errichtungszeit keinen Anlass zur Kontrolle – erst mit Fertigstellung entstand diese (missachtete) Pflicht.

Damit stand fest: der Architekt war zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Bei der Entscheidung über die Höhe des Schadens hat das OLG Stuttgart dann erwogen, wie sich auswirke, dass der Bauherr keinen Baustopp verhängt habe.

Hierbei fragte es zunächst, ob nicht der Architekt auch hierfür haftbar sei – er hatte erst Wochen später den Bauherrn darauf hingewiesen, dass der (unterlassene) Baustopp problematisch sei, weil es immer mehr spätere Gewerke gebe, die zurückgebaut werden mussten, um den Höhenmangel zu beseitigen.

Das OLG Stuttgart hat allerdings keinen Pflichtverstoß darin gesehen, dass dieser Hinweis erst nach Wochen erfolgt ist – da es überhaupt keine Pflicht zum Hinweis gab.

Der Richtersenat führte wörtlich im Urteil dazu aus:

Jedem Bauherrn, auch einem Laien, muss klar sein, dass im Falle eines Rückbaus weitere Baumaßnahmen den dann erforderlichen Rück- und Neubau aufwändiger und damit teurer machen. Der [Architekt] durfte deshalb davon ausgehen, dass [der Bauherr] sich dieser Problematik bewusst war. Darauf musste der Architekt [den Bauherrn] deshalb nicht ausdrücklich hinweisen.

Diese Wertung dürfte zutreffen.

Sie hat sodann eine gravierende Folge ausgelöst: wenn der Bauherr am 18.06.2012 wusste, dass nur ein Baustopp eine Nacherfüllung ohne zusätzliche Mehrarbeiten ermöglichen würde, dann hat er selbst die weiteren Schäden verursacht, die danach entstanden sind. Er hat den weiterfressenden Schaden mitverschuldet. Dieses Mitverschulden überlagert das Verschulden des Architekten dergestalt, dass der Architekt nicht mehr weiter haftet, sondern der Bauherr den zusätzlichen Schaden wegen ‚Verschuldens gegen sich selbst‘ allein tragen muss.

Zur Schadenshöhe hat das OLG Stuttgart daher geprüft, welche Rückbauarbeiten in dem Zeitraum zwischen dem 13.06.2012 und dem 18.06.2012 entstanden sind. Diese zusätzlichen Arbeiten des Rückbaus hatte der Architekt zu tragen, da er in diesem Zeitraum schuldhaft nicht nachgemessen hatte, ob die geplante Raumhöhe erreicht wurde.

Dieser Schaden betrug etwa 10% des eingeklagten Schadens.

In Höhe der anderen 90% konnte der Bauherr der Honorarklage des Architekten keine Schadensforderung entgegen halten; er wurde somit zur Zahlung dieses Teilbetrags verurteilt.

 

Auswirkung für die Praxis

Die Entscheidung zeigt: Auch Bauherren müssen mitspielen.

Der Bauherr wurde nicht damit gehört, er habe nicht abschätzen können, was eine Baustelleneinstellung im Ergebnis bedeute. Er habe daher diese Entscheidung nicht treffen können. Ihm war es unbenommen, insoweit mit dem Architekten Rücksprache zu nehmen, um eine ausreichende Grundlage zu schaffen für die Entscheidung,

  • entweder das Bauwerk zurück zu bauen und mangelfrei neu zu errichten, dadurch aber die rechtzeitige Fertigstellung zum Mietbeginn zu gefährden,
  • oder aber den Mangel hinzunehmen und damit den anvisierten Mietbeginn einhalten zu können.

Denn letztlich obliegt es allein der Entscheidung eines Bauherrn, wie er mit einem erkennbar gewordenen Mangel des bauausführenden Unternehmens umgeht. Es geht nicht zu Lasten des Architekten, wenn der Bauherr eine Entscheidung, wie mit dem erkannten Mangel umzugehen ist, nicht trifft.

Dass Architekten sich hierauf nicht zurücklehnen sollten, sondern als ‚Dienstleister am Markt‘ die Interessen des Bauherrn wahren sollten, auch wenn keine rechtliche Pflicht besteht, bleibt aber gültig. Dennoch mag diese Entscheidung einmal hilfreich sein, wenn sich zu spät erweist, dass früher gehandelt hätte werden sollen.

 

Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann
Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

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Stand: Juli 2017

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Stand: April 2018