Quo vadis, ius aedificationis?

Neues Bauvertragsrecht 2018


Nach vielen Jahren intensiven Ringens hat der Bundesgesetzgeber im Einvernehmen mit den beteiligten Lobbyisten das Gefüge für das Bauvertragsrecht neu sortiert – ab 1. Januar 2018 werden zahlreiche Vorschriften im BGB geändert oder ergänzt. Eine erste Einführung.

Fundstelle:
Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts (und anderer Vorschriften) vom 28.04.2017, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt (BGBl. I 2017, Seite 969 ff.) am 04.05.2017

Warum das Ganze?

Das Werkvertragsrecht des BGB (§§ 631 ff) war – wie das ganze Bürgerliche Gesetzbuch bei seiner Einführung zum Jahr 1900 – mit wenigen kurzen Regelungen versehen, die alle Lebenssachverhalte erfassten, die damals im Verkehr zwischen Bürgern wichtig waren: Wenn ein Handwerker einen Gegenstand herstellt oder überarbeitet, so schuldet er das gewünschte Ergebnis und nicht nur den zeitlichen Einsatz. Mit Fertigstellung des Werks hatte der Besteller dieses zu prüfen und freizugeben (Abnahme); in diesem Moment wurde der vereinbarte Werklohn fällig. Für die übersichtlichen handwerklichen Dinge des Lebens (Schuster, Scherenschleifer, Dachdecker) reichten diese Vorgaben aus.

Dies gilt eigentlich auch bis heute: es ist durchaus möglich und oftmals auch Fakt, dass mit den wenigen Paragrafen des Werkvertragsrechts auch komplexere Werke behandelt werden können.

Die öffentliche Hand war es, die einige Jahre später feststellte, dass das Werkvertragsrecht des BGB Lücken aufweist, insbesondere bei langwierigen und teuren Baustellen, also eben den Bauvorhaben, die gerne vom Staat beauftragt werden (Brücken, Bürohäuser, Autobahnen, Flughäfen usw.). Es war nicht durchführbar, hier erst ganz am Ende einmal Geld an den Bauunternehmer zu geben (der vorher massiv Baumaterialien vorzufinanzieren hätte) – und vor allem war es nicht sachgerecht, den einmal erteilten Auftrag nicht mehr abändern zu können, während der Ausführungszeit.

Es wurde daher u. a. eine Vertragsordnung für Bausachen erfunden, die allseits bekannte VOB Teil B. Diese geht direkt ans Eingemachte, wenn sie in § 1 dem Besteller das Recht einräumt, während der Bauzeit den Bauentwurf zu ändern. Diese Vertragsänderung muss nicht – wie sonst im BGB – vom Bauunternehmer akzeptiert und einvernehmlich vereinbart werden: der Unternehmer muss die einseitig angeordnete Änderung ausführen, wenn sein Betrieb auf sie eingerichtet ist. § 2 VOB/B gibt dafür dann die Regeln vor, wie die Vergütung zu seinen Gunsten anzupassen ist.

Die VOB/B als Vertragswerk berücksichtigt also seit Jahrzehnten die Besonderheiten, die sich bei umfangreichen, langwierigen und arbeitsteiligen Baustellen in der Praxis ergeben – und dies oftmals mehr schlecht als recht.

Seit gut 40 Jahren erfuhr die VOB/B dann zusätzlichen Druck von der Rechtsprechung, da die Regelungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen auf dem Prüfstand der einseitigen und unangemessenen Benachteiligung standen. Was nicht mehr dem gesetzlichen Leitbild des BGB entspricht, ist im Zweifel unwirksam – diese Unsicherheit stiegt immer mehr, je mehr verbraucherschützende Normen ins BGB einziehen und eben dieses gesetzliche Leitbild immer mehr verschoben haben.

Es war also durchaus an der Zeit, das gesetzliche Leitbild für das Bauvertragsrecht insgesamt zu überarbeiten.

 

Was soll ab 2018 erreicht werden?

Der Gesetzgeber hat die Regelungen für Bauvorhaben neu regeln wollen. Vier Aspekte waren hierbei Leitlinie:

  1. Verträge müssen nachträglich angepasst werden können – sei es aus technischen Änderungen, wirtschaftlichen Interessen oder sonstig veränderten Motiven. Hierbei müssen Regelungen gelten, die beiden Seiten des Vertragswerks (Auftraggeber wie Auftragnehmer) zumutbar sind und die Fortführung der Baustelle ermöglichen. Eine Baustelle, die still liegt, ist nie im Sinne der Parteien.
  2. Der Bauunternehmer muss während der Bauzeit die notwendige Liquidität erhalten, zugleich aber muss dem Baubesteller eine adäquate Sicherheit gegeben sein, dass das gegebene Geld für die Wertsteigerung seines Grundstücks verwendet wird. Änderungen des Bauentwurfs sollen hierbei ebenfalls eine schnelle Lösung der Preisfortschreibung erfahren, um Streit über Baupreise möglichst zu vermeiden.
  3. Für Architekten und Ingenieure wird ein eigenes Vertragsrecht geschaffen, da ihre Tätigkeiten Besonderheiten aufweisen, die weder mit dem allgemeinen Werkvertragsrecht noch mit dem besonderen Bau-Handwerk-Vertragsrecht erfasst werden. Gleiches gilt für Bauträger, eine unternehmerische Spezies, die besondere Regelungen notwendig macht, da meistens keine eigenen Bauleistungen erbracht werden, sondern nur Baukoordinationsleistungen und der Übereignungsakt des so entstehenden Bauwerks.
  4. Zur beschleunigten Durchsetzung finanzieller Ansprüche wird ein neues Instrumentarium gerichtlicher Eilentscheidungen geschaffen, die vorläufige Liquidität durch einstweilige Verfügungen erreichen soll.

 

Regelungen für die ersten beiden Themen stehen in der VOB/B. Hätte man diese nicht einfach zum Gesetz erheben können?

Der Gesetzgeber wollte hier eine andere Lösung. Hierbei schiebt er den bereits vereinbarten Werkerfolg in den Fokus: Alle Leistungen, die zum ursprünglich vereinbarten Werkerfolg notwendig sind, kann der Auftraggeber jederzeit anordnen. Zusätzliche Leistungen durch geänderte Wünsche oder Vorstellungen kann er nur anordnen, wenn sie für den Betrieb des Handwerkers zumutbar ist – hierbei gilt: werden die beiden Vertragsparteien sich nicht binnen 30 Tagen einig, kann der Unternehmer die andere Leistung nur ablehnen, wenn sie für ihn unzumutbar ist; ansonsten muss er sie ausführen.

Was genau diese „Zumutbarkeit“ ist, werden in den nächsten Jahre die Gerichte zu klären haben. Auch wird zu klären sein, ob die Baustelle immer für diese 30 Tage zuwarten darf oder muss, bis die Parteien sich einig sind – hier ist einiges Streitpotential vorhanden, das sicherlich auch von weniger seriösen Vertragsgegnern missbraucht werden wird.

Die Gegenseite soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers (sofern Änderungen zumutbar sind) hierfür als Vergütung einen Preis erhalten, der sich aus den erforderlichen Kosten ermittelt, plus Zuschlägen für Wagnis, Gewinn und die Allgemeinkostenumlage. Und hier hat der Gesetzgeber eine spannende Neuerung vorgesehen: Der Unternehmer kann sein Nachtragsangebot als Abschlagsrechnung zu vier Fünfteln vorweg verlangen. Es ist kaum zu erwarten, dass dies nicht zu deutlich erhöhten Nachtragsforderungen führen wird, zumal die „erforderlichen Kosten“ nicht in Stein gemeißelt vorliegen, sondern gewissen Dispositions- und Erkenntnisunterschieden der Parteien unterliegen werden. Streit ist also auch hier vorprogrammiert – auf anderer Basis als bisher unter Geltung der VOB/B, aber letztlich ohne relevante Vermeidungsstrategie des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers.

Neu ist auch eine Abnahme-Ersatz-Lage: Verweigert der Auftraggeber die Abnahme, muss er aber zumindest an der Feststellung des Zustands mitwirken; verweigert er auch diese, kann der Auftragnehmer die Zustandsfeststellung alleine vornehmen. Auch dies ruft regelrecht nach Missbrauch und Konflikten.

 

Was ändert sich für Architekten und Ingenieure?

Sie erhalten erstmalig einen eigenen, gesetzlich genannten Vertrag: den „Architekten und Ingenieurvertrag). Er regelt vertragstypische Leistungspflichten (sodass nicht mehr allein auf die eigentlich ganz anders gemeinten Preisvorschriften der Leistungsbilder der HOAI zurückgegriffen werden muss).

Auch wird die Haftungslage mit zwei Neuregelungen verbessert:

a) Der Architekt oder Ingenieur hat einen gesetzlichen Anspruch auf Teilabnahme seiner Leistung bereits zu dem Zeitpunkt, an dem die Hauptwerkleistungen der Bauunternehmer abgenommen werden.

b) Es muss zunächst in Mangelfällen eine Aufforderung zur Nacherfüllung an den ausführenden Handwerker ausgebracht werden, bevor der Architekt oder Ingenieur (und die dahinter stehenden Versicherungen) auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden können.

Diese beiden Aspekte dürften sich tatsächlich günstig auswirken und eine Verbesserung der Rechtslage für Bauplaner bedeuten.

 

Was ändert sich zum Bauträgerrecht?

Hier ist der Gesetzgeber nicht fertig geworden. Bisher beschränkt sich der Abschnitt zum Bauträgervertrag darauf, ihn zu definieren und einige auf Werkunternehmer zugeschnittene Vorschriften auszuhebeln, die dem Bauträger ansonsten zu früh zu viel Liquidität (und damit dem Erwerber ein höheres Risiko) verschaffen würden.

Hier wird gespannt abzuwarten sein, welche Regelungen noch folgen werden, und wann.

 

Das Gesetz soll den Verbraucherschutz stärken.

Diese Ankündigung des Gesetzgebers ist dadurch begründet, dass er einen Verbraucherbauvertrag normiert hat, für den unabdingbare (zwingend geltende) Vorschriften erlassen wurden. Es gibt ein Widerrufsrecht für den Vertrag selbst; die Baubeschreibung zum Vertragsinhalt (Bau-Soll) muss mit detaillierten Angaben versehen sein. Der Bauvertrag muss verbindliche Angaben zum Fertigstellungstermin machen. Dem Verbraucher-Bauherrn sind über das Bauobjekt gesetzliche definierte Unterlagen auszuhändigen. Zuletzt gelten zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Lage besondere Vorschriften zu Abschlagszahlungen, also zum Abfluss von Liquidität vor der rechtzeitigen und mangelfreien Fertigstellung und Abnahme des Bauvorhabens.

 

Auswirkungen für die Praxis

Die Änderung des gesetzlichen Leitbilds im Werkvertragsrecht wird für Verbraucher, Architekten und Ingenieure teilweise erhebliche Änderungen auslösen. Inwieweit die VOB/B für den unternehmerischen Bauverkehr anzupassen sein wird, ist auch davon abhängig, welche der neuen Instrumente sich durch die Anwendung der Gerichte als tauglich erweisen werden.

Es wird aber einige Jahre (und vermutlich auch einige Korrekturen des Gesetzes) benötigen, bis wieder ein halbwegs rechtssicheres Bauvertragsrecht für alle Baubeteiligten zur Verfügung steht. Dann allerdings ist zu erwarten, dass diese besondere Rechtsmaterie ein allgemeingültiges Vertragsgefüge als Leitplanke und Grundlage aufweist, das gegenüber der heutigen Rechtslage zu bevorzugen ist. Fragen der internationalen Nachvollziehbarkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und deren Wirksamkeit im Einzelfall – eine deutsche Spezialität, die bei der VOB/B für viel Durcheinander sorgt – sollten dann ebenso der Vergangenheit angehören wie die Frage, wer eigentlich das Recht setzt: ein Ausschuss oder der Bundesgesetzgeber.

Die Reform ist daher trotz ihrer heute noch vorhandenen Schwächen absolut zu begrüßen.

 

Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann
Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

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Stand: Juli 2017

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Stand: Juli 2017