Mangelhaftes Aliud

Anerkannte Regeln der Technik und Bestellerwünsche


Wer die Musik bestellt, muss sie nicht nur bezahlen – er darf auch bestimmen, was gespielt wird. Dies gilt auch im Baurecht. Was passiert, wenn dies mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik kollidiert? Wann ist eine solche Kollision anzunehmen?

Fundstellen:

OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.10.2018, 23 U 43/17; BGH, Beschluss vom 02.07.2020, VII ZR 210/18 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Sachverhalt

Eine Projektentwicklungsgesellschaft möchte ein erworbenes Grundstück bebauen und sodann an ein Fachmarktunternehmen verkaufen. Mit den Rohbauarbeiten wird ein Handwerksunternehmen unter Geltung der VOB/B beauftragt. Im Leistungsverzeichnis wird als Position 01.06.0060 eine PVC-Mauerwerkssperrfolie, zugelassen nach DIN 18195, gegen aufsteigende Feuchtigkeit, Fabrikat Delta oder gleichwertig, beauftragt.

Diese Position war auf Anraten eines Instituts für Baustoffprüfung und Beratung gefasst worden; diese Folie sollte eine ansonsten aufwändigere Dränagemaßnahmen nach DIN 4095 ersetzen, da in den bindigen Böden je nach Witterung Schicht- oder Stauwasser zu erwarten war.

Die DIN 18195 sieht für solche Folien eine Dicke von 1,2mm vor, beidseitig im Mörtelbett und durchgehend mit einer Klebeschicht zu verlegen.

Der Auftragnehmer verwendete eine Delta-Folie mit einer Dicke von 0,4mm, die zudem nicht beidseitig im Mörtelbett lag und keine durchgehende Klebeschicht aufwies.

Die Projektentwicklungsgesellschaft monierte diese Abweichung als Mangel. Sie forderte einen Austausch, der etwa 400.000 Euro kosten würde. Der Handwerksunternehmer vertrat den Standpunkt, dass die Folie wie auch die Verlegung den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche und keine Gebrauchsbeeinträchtigung vorliege. Auch wären die Mangelbeseitigungskosten überzogen, da sie etwa 80% des Gesamtauftragsvolumens von etwa 500.000 Euro betragen würden.

Die Projektentwicklungsgesellschaft mindert die Schlussrechnungsforderung des Handwerkers von etwa 275.000 Euro unter Berufung auf den Mangel mit der überschießenden Gegenforderung von 400.000 Euro, und verlangt die Freistellung des Differenzbetrags von fast 140.000 Euro, da beim Weiterverkauf des Fachmarktzentrums die Summe von 400.000 Euro als Kaufpreisnachlass gewährt wurde, was der Handwerker als Schadensersatz zu bezahlen habe.

Zu Recht?

Problematik

Der Sachverhalt wirkt komplizierter, als er ist. Streitgegenständlich war primär die Frage nach der Mangelhaftigkeit einer Folie, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik (vordergründig) entspricht, aber eben nicht dem, was der Auftraggeber ausdrücklich bestellt hat.

Die vorliegend vereinbarte VOB/B definiert den Baumangel in § 13 Abs. 1 S. 2: Eine Leistung ist zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Durch § 13 Abs. 6 VOB/B ist zudem Teil der vertraglichen Vereinbarung die Regelung, dass der Auftraggeber durch Erklärung gegenüber dem Auftragnehmer die Vergütung mindern kann, wenn die Beseitigung des Mangels für den Auftraggeber einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde und deshalb vom Auftragnehmer verweigert wird.

Vorliegend entsprach die verbaute Folie weder in ihrer Substanz als auch in der Verlegetechnik der geforderten Vorgabe der DIN 18195. Damit entsprach sie bereits vordergründig nicht der vereinbarten Beschaffenheit nach der Leistungsverzeichnisposition 01.06.0060, wenn auch die Abweichung sich nur aus dem Text der DIN ergab. Und nicht (im Wortlaut) aus dem Leistungsverzeichnis. Zudem war streitrig, ob sie auch gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstieß. Der Auftraggeber behauptete dies; der Auftragnehmer widersprach mit der Behauptung, so werde ansonsten stets erfolgreich gebaut, und die Abweichung beeinträchtige nicht die Gebrauchstauglichkeit, weshalb er nicht zur Nacherfüllung (dem Austausch) in Anspruch genommen werden könne, sondern allenfalls auf eine Minderung. Der Wert der verbauten Folie bliebe hinter dem Wert der bestellten Folie marginal zurück, sodass allenfalls ein sehr geringer Abzug gerechtfertigt sei.

Daher sei die Schlussrechnungsforderung fast vollständig gerechtfertigt, auf die er die Projektentwicklungsgesellschaft vor dem Landgericht Mönchengladbach und sodann vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf verklagte.

Entscheidung

Der Handwerker verlor. Das OLG Düsseldorf wies die Berufung zurück und verurteilte den Handwerker auf Freistellung eines Betrags von 138.034,49 Euro, der Differenz zwischen der Schlussrechnungssumme und dem Minderungsbetrag von 414.000 Euro. Der Bundesgerichtshof hat die Nichtzulassungsbesschwerde des Handwerkers gegen diese Entscheidung verworfen.

Das OLG Düsseldorf begründete mit seinem 23. Senat die Entscheidung damit, dass nach § 13 Abs. 1 VOB/B ein Sachmangel jede Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit und den anerkannten Regeln der Technik einen Mangel darstellt. Eine Leistung, die nicht die vereinbarten Beschaffenheitsmerkmale aufweist, ist unabhängig davon mangelhaft, ob ihre Gebrauchstauglichkeit dadurch vermindert oder sogar aufgehoben wird, und auch unabhängig davon, ob der Auftraggeber durch die Beschaffenheitsabweichung Nachteile erleidet. Wirkt sich eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit nicht oder nur in geringem Maße nachteilig aus, kann dies allerdings die Prüfung veranlassen, ob Mängelansprüchen des Bestellers der Einwand entgegensteht, der Mängelbeseitigungsaufwand sei unverhältnismäßig.

Dann folgen in der Entscheidung einige zentrale Sätze, die den Kern der Argumentation ausmachen: Als anerkannte Regeln der Technik sind sämtliche Vorschriften und Bestimmungen anzusehen, die sich in der Theorie als richtig erwiesen und in der Praxis bewährt haben. Zu den anerkannten Regeln der Technik können auch Herstellerrichtlinien gehören, sofern der Besteller erkennbar auf deren Einhaltung besonderen Wert legt. Entspricht das Werk nicht den anerkannten Regeln der Technik, ist die Leistung als mangelhaft anzusehen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Verstoß auch zu einer Gebrauchsbeeinträchtigung führt. Der Mangel besteht bereits in der Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik als solcher. Bereits das Landgericht Mönchengladbach hatte ja festgestellt, dass die eingebaute Mauerwerkssperrfolie nicht die in Ordnungszahl 01.06.0060 des Leistungsverzeichnisses vereinbarte Beschaffenheit hatte, vor allem nicht der DIN 18195 entsprach.

Es kam somit nicht darauf an, dass wörtlich dem Leistungsverzeichnis die Vorgaben der Dicke von 1,2mm sowie die Verlegevorgaben des beidseitigen Mörtelbetts und der durchgehenden Klebeschicht nicht zu entnehmen waren.

Ebenfalls kam es auch nicht darauf an, ob die DIN 18195 im Übrigen in vollem Umfang auf das Bauvorhaben Anwendung fand. Die Parteien hatten – was stets möglich ist – eine von den anerkannten Regeln der Technik abweichende Ausführung vereinbart. Diese Vereinbarung prägt das Bausoll.

Hierbei handelte es sich auch nicht um ein Versehen im Leistungsverzeichnis oder eine ähnliche Problematik, die möglicherweise eine andere Wertung bedingt hätte. Durch die nicht sach- und fachgerechte Verlegung bestand eine erhöhte Gefahr, dass Perforationen der Folie entstehen und durch die Folie Wasser in das Mauerwerk eindringen könnte. Zudem sei ja eben diese Folie zum Ersatz umfangreicher Dränagearbeiten ausdrücklich gewollt und gewünscht gewesen.

Letztlich entspricht diese Entscheidung der Wertung des Werkvertragsrechts, dass einem Sachmangel gleichsteht, wenn der Unternehmer ein anderes als das bestellte Werk herstellt (sog. „Aliud“, § 633 Abs. 2 S. 3 BGB).

Auf die Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigungskosten kam es vorliegend auch nicht an, sodass dieser Einwand des Handwerkers leer lief. Wenn nämlich der Handwerker die Mängelbeseitigung wegen unverhältnismäßigen Aufwandes verweigert, kann der Auftragsgeber ihn auch hieran festhalten, selbst wenn gar kein unverhältnismäßiger Aufwand (sondern eben eine Nacherfüllungspflicht in voller Höhe) besteht. Der Auftraggeber kann dann die Minderung als seine Wahl der Rechtsfolge akzeptieren, wenn er seinen Nachbesserungsanspruch, gegebenenfalls im Wege der Ersatzvornahme, nicht weiterverfolgen möchte. Übrigens: mit der Ausübung dieses Wahlrechts verliert der Auftraggeber die andere Möglichkeit dauerhaft, kann also nicht zwischen Nacherfüllungsrechten hin und her wechseln.

Die Minderung besteht dann im Wert des Grundstücks ohne diesen Mangel gegenüber dem Grundstück mit dem Mangel. Diesen Wertverlust hat die Projektentwicklungsgesellschaft beim Weiterverkauf des Fachmarktzentrums im Kaufpreis in Höhe von 414.000 Euro erlitten, sodass dieser Betrag die Minderungssumme darstellt – vollkommen unabhängig davon, welche Nacherfüllungskosten entstanden wären.

Auswirkung für die Praxis

Auftragnehmern kann nur ein weiteres Mal angeraten werden, ein besonders aufmerksames Auge auf die (schriftlichen) Auftragsbestimmungen zu werfen. Die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit bestimmt im BGB in erster Stufe als maßgebliche Bestimmung zur Feststellung des Vertragssolls – und unter Geltung der VOB/B wird dies (flankiert von der Geltung der anerkannten Regeln der Technik) nicht anders gesehen. Ob die statt dessen (anders) ausgeführte Bauweise praktisch, zulässig, üblich oder funktionell (gar günstiger) ist, mag Nachfragen und Vorschläge des Fachunternehmers auslösen – er darf aber nicht einseitig auf eine andere Bauweise umschwenken, da dies stets zu einem Mangel führt. Denn dies stellt immer zugleich auch eine Abweichung vom anerkannten Stand der Technik dar, wenn (wie hier) Herstellervorgaben betroffen sind, auf die der Besteller Wert legt, und sei es auch nur durch einen Verweis auf eine DIN.

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Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

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Stand: Januar 2021

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