Kurz und gut

Kündigung oder Vertragsaufhebung


Verkürzt sich die Vorhaltung einer Baustelle einvernehmlich, ist fraglich, wie die Vergütung des Handwerkers zu beziffern ist.

Fundstelle:

BGH, Urteil vom 26.04.2018, VII ZR 82/17

 

Sachverhalt

Ein Tiefbauunternehmen nimmt 2004 an einer Ausschreibung zur Errichtung von Stahlgleitwänden an einer Autobahn über knapp 15km teil. Für die Vorhaltung sind 588 Tage kalkuliert; das Angebot beläuft sich auf knapp über 1 Mio Euro – der Zuschlag wird erteilt.

Das Vergabeverfahren hatte sich verzögert, weshalb die Auftraggeberin die Baustelle beschleunigte. Die Vorhaltezeit der Stahlgleitwand reduzierte sich deshalb auf 333 Tage, ohne dass das Tiefbauunternehmen ansonsten in die Abläufe eingewirkt hat.

Das Tiefbauunternehmen rechnete nun nicht nur den Preis für 333 Tage ab, sondern forderte von der öffentlichen Ausschreibestelle eine Vergütung für die nicht erbrachten 255 Tage. Unter Abzug erparter Aufwendungen berechnete es hierfür knapp 100.000 Euro.

Zu Recht?

 

Problematik

Die Parteien haben einen Einheitspreisvertrag geschlossen. Ausweislich der Ausschreibung wie des Angebots wurde mit 588 Kalendertagen zu jeweils 1.184 Euro netto gerechnet. Angebots- und Zuschlagsvergütung betrugen deshalb über 1 Mio Euro.

Für die letztlich erbrachte Zeit von 333 Tagen betrug die Vergütung (unstreitig) etwas mehr als die Hälfte hiervon.

Die öffentliche Ausschreibestelle hatte die Geltung der VOB/B (damalige Fassung von 2002) vorgegeben. Hiernach ist bei Einheitspreisverträgen jede Unterschreitung von mehr als 10% des kalkulierten Mengenansatzes durch neue Preisvereinbarung zu berücksichtigen. Dies gilt, sofern nicht bei anderen Positionen oder sonstwie ein Ausgleich erfolgt ist; der Einheitspreis ist entsprechend zu erhöhen und mit der tatsächlich erbrachten Leistungsmenge zu multiplizieren (§ 2 Nr. 3 VOB/B 2002).

Wegen dieser Vorgaben hatte die Auftraggeberin sich auf den Standpunkt gestellt, den Einheitspreis von 1.184 Euro/Tag netto entsprechend zu erhöhen und mit 333 Tagen zu multiplizieren; dies ergabt eine gegenüber 95.000 Euro, wie abgerechnet und gefordert, deutlich geringere Summe.

Der Tiefbauer indes argumentierte, es liege eine Teilkündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) vor. Die Auftraggeberin habe 255 Tage abgekündigt, sodass hier nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002), der dem damaligen § 649 S. 2 BGB entsprach, abzurechnen sei. Er berechnete daher aus dem vereinbarten Werklohn für 255 Tage unter Abzug ersparter Aufwendungen den eingeklagten Rest-Werklohn (ohne Umsatzsteuer) in Höhe von 94.778,24 Euro.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Rostock folgte der Argumentation des Tiefbauers – und der Bundesgerichtshof bestätigte diese Rechtsauffassung in seinem Urteil.

Allerdings kam es – anders als die Parteien gestritten haben – nicht auf die Frage einer Schriftlichkeit der Teilkündigung von 255 Kalendertagen an. Der BGH stellte vielmehr fest: es lag eine einvernehmliche Vertragsaufhebung vor.

Nicht einseitig hatte die Auftragsstelle die Bauzeit und damit die Vorhaltezeit der Stahlgleitwände reduziert – beide Parteien wares sich hierüber einig. Dies ist auch ohne Einhaltung einer Schriftform möglich.

Interessant ist die Folge dieser Auffassung für den für Bau- wie für Vergabesachen zuständigen VII. Senat des Bundesgerichtshofs:

Im Falle der einvernehmlichen Vertragsbeendigung richtet sich die vom Auftragnehmer zu beanspruchende Vergütung nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002), sofern sich die Parteien über die Folgen der Vertragsbeendigung nicht anderweitig geeinigt haben.

Damit war dem Grunde nach die Vorstellung des Tiefbauers bestätigt, den vereinbarten (nicht-verdienten) Werklohn unter Ansatz ersparter Aufwendungen zu erhalten.

Der Einwand des Auftraggebers, es liege eine Reduktion der Mengen entsprechend § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) vor, akzeptierte der BGH nicht. Vorliegend seien dessen Voraussetzungen nicht erfüllt:

Eine Anpassung der vereinbarten Vergütung nach § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) kommt nur in Betracht, wenn es ohne Eingriff in den ursprünglichen Leistungsbestand zu einer reinen Mengenänderung bei den Vordersätzen der bei Vertragsschluss festgelegten Leistungen kommt.

Dieser (2. ) Leitsatz der Entscheidung hat es in sich: Nur und allein dann, wenn die Kalkulation im Nachhinein fehlerhaft ist, und die richtigen Massen sich fast zufällig anders als gedacht ergeben, liegen die Voraussetzungen der Preisanpassung nach § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) vor. In allen anderen Fällen, also stets dann, wenn der Bauherr in das Leistungsgefüge eingreift (Planungsänderungen), auch bei Beschleunigungsmaßnahmen wie hier, muss anders berechnet werden – nämlich nach der Berechnung der Rechtsfolge einer Teilkündigung.

Diese Feststellung beinhaltet zudem auch die Erkenntnis, dass § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002) als speziellere Regelung den § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) verdrängt.

Dem Tiefbauer stand danach gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002) die vereinbarte Vergütung zu; er musste sich jedoch (was er auch zugestanden hatte) anrechnen lassen, was er infolge der teilweisen Aufhebung des Vertrags an Kosten erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft und seines Betriebs erworben hatte oder zu erwerben böswillig unterlassen hatte. Dies war vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Vortrag des klagenden Tiefbauers mit 94.778,24 Euro festgestellt worden.

Der Klage wurde daher vollumfänglich stattgegeben.

 

Auswirkung für die Praxis

Die Entscheidung zeigt: Kalkulationsansätze sollten nicht komplett “gewürfelt” werden.

Auftraggeber sind gerne versucht, sich die Dienste (insbesonders: guter) Handwerker dadurch zu sichern, dass man lange Vorhaltezeiten und garantiert auskömmliche Einzelpreise zu vereinbaren versucht. Die Einheitspreise sind erfahrungsgemäß bei größeren Mengen gerne niedriger, was auch stets dem Kosteninteresse des Auftraggebers entspricht.

Aber: der Handwerker hält zu diesem Preis Personal und Material vor, und ist in anderen Erwerbschancen blockiert. Es ist dem allgemeinen Fairnessgebot entsprechend, wenn man ihn hier nicht schutzlos lässt.

2 Nr. 3 VOB/B (2002) ist keine adäquate Kompensation, weil die Berechnung erheblichen Aufwand macht und die Korrektur des “sonstigen Ausgleichs” in anderen Positionen gerne gegen ihn angeführt wird, ohne dass die eigentlichen Bedingungen vorliegen.

Die nicht abgerufenen Mengen als teilgekündigt zu werten, und mit dem “Jederzeit-Kündigungsrecht des Werkvertrags” aus § 648 BGB (seit 01.01.2018; früher und in der hier besprochenen Entscheidung 6§ 49 BGB) zu verbinden, dessen Rechtsfolge prinzipiell der volle vereinbarte Werklohn des entfallenden Teils ist, muss als interessensgerechter bewertet werden.

Der Auftraggeber ist ja nicht ungedeckt.

Zunächst ist der Werklohn um ersparte Aufwendungen zu kürzen – und mittels Eventualpositionen im Leistungsverzeichnis, die nicht “fest” beauftragt sind, und daher mangels Abrufs auch nicht als gekündigt gelten können, ist sein Interesse an Flexibilität im Einzelfall hinreichend berücksichtigt.

Die Entscheidung stellt eine gute Klarstellung dar.

Die dürfte, da sich die hierfür entscheidenden rechtlichen Rahmenbedingungen durch Inkrafttreten des neuen Bauvertragsrechts seit Jahresbeginn nicht geändert haben, auch heute unverändert gelten.

Sie sollte daher von Auftraggebern berücksichtigt werden.

 

Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann
Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

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Stand: Juli 2017

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Stand: Mai 2018