Früher war alles billiger

Vorteilsausgleich bei verspäteter Mangelbeseitigung


Verzögert ein Bauunternehmer die Mangelbeseitigung, kann sich eine Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik ergeben. Die Nachfüllung, hiervon betroffen, kann dann eine Verbesserung des Bauwerks auslösen, verglichen mit dem ursprünglich vereinbarten Bausoll.

Wie ist in solchen Fällen mit der Verbesserung umzugehen?

Fundstelle:

OLG München, Beschluss vom 01.09.2020, 28 U 1686/20 Bau

Sachverhalt

Ein Bauträger errichtet kurz nach der Jahrtausendwende eine Wohnanlage. Nach einiger Zeit zeigen sich Mängel am Dach, weshalb die Eigentümergemeinschaft vom Bauträger Mangelbeseitigung am Dach begehrt. Dieser nimmt den Subunternehmer ins Boot, der das Dach errichtet hat – und nichts geschieht.

Die Eigentümergemeinschaft möchte die Kosten der Dachertüchtigung ermitteln, um sie als Vorschuss zur anstehenden Ersatzvornahme geltend zu machen. Die Kostenschätzung beläuft sich auf etwa 150.000 Euro – mit einem wichtigen Teilbetrag: 20.000 Euro darin entfallen auf Kosten, die ursprünglich nicht angefallen wären. Denn die erste Dacherrichtung erfolgte unter Geltung der Ausbauvorgaben der EnEV 2002, während inzwischen bei der Sanierungskalkulation inzwischen die EnEV 2014 gilt, die andere Vorgaben und damit höhere Umbaukosten vorsieht.

Der Subunternehmer des Bauträgers stellt sich nach Klagezustellung auf den Standpunkt, er schulde nur die Kosten der damaligen Bauweise, eine andere Bauart, die der Eigentümergemeinschaft energetische Vorteile bringen würde, sei von ihm nicht zu leisten und damit auch nicht vorzufinanzieren.

Zu Recht?

Problematik

Ein Fall, auf den noch das „alte Schuldrecht“ aus der Zeit vor 2002 anzuwenden ist (was sich im Ergebnis nicht auswirkt), weil der Bauträgervertrag entsprechend alt war:

Insbesondere die Wärmedämmung der Dachausbauten ist nach den verschiedenen Fassungen der Energie-Einspar-Verordnung EnEV immer komplexer geworden beim Versuch, die Energieeffizienz der Gebäude immer weiter zu erhöhen. Es ist daher ohne Weiteres plausibel, dass ansonsten identische Dachaufbauten auf einer Wohnanlage sich ausschließlich und allein nur durch veränderte Vorschriften der EnEV verändern, wenn man sie einmal Anfang des Jahrtausends errichtet, und einmal ein Jahrzehnt später.

Für die Nacherfüllung ist noch ein Aspekt wichtig: welcher allgemein anerkannte Stand der Technik geschuldet ist. Diese anerkannten Regeln der Technik sind sinngemäß die auf Erkenntnissen und Erfahrungen beruhenden geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Technik, die einem nach neuestem Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker bekannt sind und sich aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung bewährt haben. Zu Ihnen gehören auch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, auf deren Einhaltung handwerklich nicht verzichtet werden darf – wie beispielsweise die Vorgaben der jeweiligen EnEV.

Es kommt also durchaus auch auf den Zeitpunkt der Betrachtung an, wenn sich solche allgemein anerkannten Regeln der Technik verändern.

Hierbei gilt:

Die Abnahme eines Werks ist der entscheidende Zeitpunkt für die Betrachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik für die Ersterrichtung. Dies ist inzwischen anerkannte Rechtsprechung auch dann, wenn diese sich zwischen Vertragsschluss und Abnahme ändern – sogar dann, wenn dies bei Vertragsschluss redlicherweise nicht vorhersehbar war (wobei es möglicherweise einen Vorteilsausgleich als sog. „Sowieso-Kosten“ gibt – dazu gleich mehr).

Jetzt könnte man meinen, dass an eine Nacherfüllung der gleichen Maßstab anzulegen ist. Nacherfüllung und insbesondere Gewährleistungs-Mangelbeseitigung sichert nach dem Sinn der Regeln ja den Zustand der Abnahme, für den der Unternehmer für einen gewissen Zeitraum „gewährt“, dass er erhalten bleibt, dass also der gewünschte Abnahmezustand „eine Zeitlang hält“.

Dem ist aber nicht so. Bei Nacherfüllungsleistungen ist auf die allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt ihrer Vornahme abzustellen, so als ob es an deren Ende eine erneute „Abnahme“ gäbe, für die der allgemeine Grundsatz gilt. Ein nacherfüllungsverpflichteter Unternehmer muss also – wenn es keine anderen, höherwertigen Vereinbarungen gibt – möglicherweise einen „besseren“ Zustand durch die Nacherfüllung erreichen als jenen, den er nach den inzwischen veralteten allgemein anerkannten Regeln der Technik zu leisten hatte.

Dieser Grundgedanke löst vorliegend die Problematik des Falls aus: Der Dacherrichter (Subunternehmer des Bauträgers) musste inzwischen ein Dach nach der EnEV 2014 als Nacherfüllungsleistung anstreben, auch wenn ursprünglich eine u.a. weniger gedämmte Version nach der EnEV 2002 geschuldet war.

Hier wollte er sich auf die Grundsätze des Vorteilsausgleichs berufen. Die bekannteste Faustformel aus diesem Umfeld ist der Abzug „Neu für alt“: da im Schadensrecht ein Geschädigter keinen Gewinn machen soll, muss er sich anrechnen (= abziehen) lassen, was er gewinnt.

Vereinfacht: Ist der Zustand nach der Schadensbeseitigung besser als derjenige vor dem Schadenseintritt, bekommt er nicht die ganzen Kosten der Schadensbeseitigung, sondern nur den Teilbetrag, der dem alten Zustand entspricht. Er muss den erhaltenen Vorteil ausgleichen, indem er ihn selbst trägt.

So argumentierte auch der Subunternehmer: diejenigen 20.000 Euro, die alleine durch die geänderte EnEV „notwendig“ wurden (bzw. der Vorteil der hierdurch verkörperten besseren Dämmung usw.), sollten die Eigentümer als Vorteilsausgleich selbst tragen. Die Klage über diesen Teilbetrag sei deshalb unbegründet.

Entscheidung

Der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München sah dies anders. Er sprach dem Subunternehmer den Einwand des Vorteilsausgleichs gegen die Eigentümer nicht zu.

Er begründete dies mit der Herkunft der Änderung: Warum galt denn inzwischen die EnEV 2014? Dies doch nur, weil der Bauträger und sein Subunternehmer auch nach einem ganzen Jahrzehnt die stets geschuldete Mangelbeseitigung nicht erbracht hatte. Umgekehrt gedacht: Hätten Bauträger und Subunternehmer unmittelbar nach der ersten Mangelanzeige die Probleme am Dach ordnungsgemäß beseitigt, wäre dies unter der Geltung der EnEV 2002 erfolgt und es wäre gar nicht zur Änderung der energetischen Vorgaben gekommen. Mehr noch: wäre das Werk bei der Abnahme ordnungsgemäß und dauerhaft mangelfrei errichtet worden, würde sich die ganze Frage nicht einmal stellen.

Das Risiko dieser Feststellung weist das OLG München dem Bauunternehmer zu. Eine Verteuerung der Mangelbeseitigung fällt alleine in das Risiko des Bauunternehmers, sofern die Verteuerung allein auf die Verzögerung der Mangelbeseitigung zurückzuführen ist.

Der Senat empfand es daher als „unbillig“, die Eigentümer an den Mehrkosten der Sanierung durch eine Verringerung des Kostenvorschussanspruches zu beteiligen, selbst wenn die Eigentümergemeinschaft durch die Einhaltung der Anforderungen der EnEV 2014 z.B. eine wirtschaftlich merkbare Ersparnis bei den Heizkosten erzielen würde. Diesen Vorteil haben die Eigentümer nicht auszugleichen.

Hierbei hat das Gericht auch gesehen, dass die Eigentümer den jetzigen Vorteil nicht „von Anfang an“ hatten; sie haben vielmehr einige Zeit (vorliegend viele Jahre) mit einem mangelhaften Werk gelebt, obwohl sie stets einen Anspruch auf mangelfreie Leistung hatten.

Ein Unternehmer, der demgegenüber den geschuldeten Vertragszweck nicht bei der Abnahme, sondern erst (viel) später erreicht, soll seinerseits keine Besserstellung dadurch erfahren, dass er den Erfolg verschleppt.

Auswirkung für die Praxis

Die Entscheidung erinnert an eine alte Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1984. Beide Entscheidungen stellen auf die besondere Situation ab, dass ausschließlich die Verzögerung der Mangelbeseitigung eine andere Ausführung mit Besserstellung des Auftraggebers auslöst.

Dies ist von Fällen zu trennen, in denen aus anderen Gründen eine Verzögerung eintritt, insbesondere dann, wenn sie aus der Sphäre des Bestellers resultiert. Auch deutliche Mehrwerte des Werks gegenüber dem nach den „alten“ allgemein anerkannten Regeln der Technik zu errichtenden Werk können einen Anspruch auf Vorteilsausgleich begründen, wenn ein zusätzlicher, vertraglich nicht geschuldeter Vorteil entsteht (in einem Fall des OLG Stuttgart wurde dies z.B. bei deutlich verlängerter Nutzungsdauer angenommen). Dies war vorliegend nicht anzunehmen.

Es kann gewährleistungsverpflichteten Unternehmern nur geraten sein, die Mangelbeseitigung jedenfalls dann nicht zu verschleppen, wenn Änderungen der allgemein anerkannten Regeln der Technik ins Haus stehen.

Auch ist es stets zu prüfen, ob die allgemein anerkannten Regeln der Technik gelten sollen, oder ob eine vertraglichen Festlegung auf andere Standards in Betracht kommt. Durch solche abweichenden Vereinbarungen mag im Einzelfall ein Vorteilsausgleich in Betracht kommen, wenn der Gesamtwert des Bauwerks steigt und ein (dann) vertraglich anders vereinbarter Zustand einen Vorteil bedeutet.

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Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

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Stand: September 2020

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Stand: September 2020