Wann liegt ein Mitverschulden des Bauherrn am Schadeneintritt vor, und vernichtet eine günstigere Ausführung im Schadensbeseitigungsweg zum Wegfall des Schadens?
Fundstelle:
Kammergericht Berlin, Urteil vom 01.02.2019, 21 U 70/18
Sachverhalt (vereinfacht)
Ein Reihenhaus soll modernisiert werden. Der Eigentümer beauftragt einen Architekten mit den Arbeiten, einschließlich der Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe.
Der Eigentümer lässt den Architekten die Bestandsaufnahme allein durchführen und hüllt sich in Schweigen. Dass die Außenwand zum Nachbarn auf der Grenze steht, teilt er dem Architekten nicht mit.
Als Grenzwand ist diese Wand eine Brandwand, was der Architekt bei der Planung übersieht. Er plant ein schwer-entflammbares Wärmedämmverbundsystem für gut 50.000 Euro statt des für Brandwände vorgeschriebenen nicht-brennbaren WDVS.
Bei der städtischen Abnahme wird dies gerügt, sodass das WDVS ausgetauscht werden muss. Das nunmehr aufgebrachte nicht-brennbare WDVS kostet rund 31.000 Euro. Abriss und Entsorgung des falschen Systems kosten weitere 13.000 Euro.
Der Eigentümer verklagt den Architekten auf Schadensersatz von etwas mehr als 76.000 Euro, nämlich den Preis des ersten (falschen) Systems, die Zusatzkosten für dessen Abriss und Entsorgung, sowie etwa 13.000 Euro Umsatzsteuer.
Zu Recht?
Problematik
Der Fall wirft zwei interessante Fragen auf:
1. Wie bemisst sich der Schaden einer Fehlplanung, wenn die nachbessernd durchgeführte Leistung günstiger war als die fehlerhafte Ursprungsleistung?
2. Trägt der Auftraggeber eine schadensmindernde Mitschuld am Schadenseintritt, wenn er auf relevante Aspekte der Planungs- und Bauaufgabe nicht hinweist?
Im Einzelnen:
1. Es ist klar, dass der Schaden des Eigentümers in vorliegenden Fall die zusätzlichen Kosten der Nachbesserung umfasst. Dies sind der Abriss des falschen WDVS und die Entsorgungskosten. Schadensrechtlich muss gefragt werden: wieviel hätte der Bauherr ausgegeben, wenn keine Fehlplanung und damit keine Fehlmontage erfolgt wäre? Dies bedeutet: nur einmal ist eine Montage zu bezahlen, und eine Entsorgung gar nicht – beide Positionen sind damit eindeutig ein Schaden, den der Architekt mit 13.000 Euro zu bezahlen hatte.
Aber wir verhält es sich mit dem WDVS? Das falsche WDVS (das schwer-entflammbare) kostete einschließlich seiner Montage 50.000 Euro, das richtige System (das nicht-brennbare) war günstiger und inkl. Montage für etwa 31.000 Euro zu haben. Ist sein Schaden dann nicht nur 31.000 € hoch, statt der begehrten 50.000 Euro?
2. Der Eigentümer hat keinerlei Informationen an den Architekten gegeben, auch keine dahingehend, dass es sich bei der Wand zum Nachbargrundstück um eine Grenzwand handelt, die nach § 30 Abs. 7 der Berliner Bauordnung als Brandwand zu bewerten ist, was die Dämmung mit nicht-brennbarem Material nach sich ziehen muss.
Der Architekt sieht hierin ein Mitverschulden. Hätte der Architekt diese Informationen gegeben, hätte der Architekt von vorneherein die richtige (Nicht-)Brennbarkeitsstufe des Wärmedämmverbundsystems geplant und ausgeschrieben, sodass es zu all den Schäden nicht gekommen wäre.
Ein Geschädigter muss sich, wenn er vorwerfbar ursächlich am Eintritt eines Schadens mitgewirkt hat, dieses Mitverschulden reduzierend anrechnen lassen, bekommt also nicht den ganzen Schaden ersetzt.
Aus beiden Gründen verteidigt sich der Architekt gegen die Schadensersatzklage und meint, nicht mehr, zumindestens aber deutlich weniger zahlen zu müssen.
Entscheidung
Das Berliner Kammergericht hat den Architekten verurteilt, die vollen Kosten der ersten Ausführung sowie Abriss und Entsorgung zu zahlen.
1. Es hat hierzu noch einmal klargestellt, dass der Eigentümer so zu stellen war, wie er wirtschaftlich stünde, wenn der Architekt im Leistungsverzeichnis das auf die Brandwand aufzubringende WDVS von vornherein als „nicht-brennbar“ aufgeführt hätte. Der Architekt könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Montage des zweiten WDVS mit rund 31.000,- € netto deutlich günstiger war als die des ersten mit rund 50.000,- € netto.
Der Eigentümer sei nicht verpflichtet, lediglich die geringeren Kosten der zweiten Montage als Schaden in Ansatz zu bringen. Dieser günstigere Preis der zweiten Montage könne ja unterschiedliche Ursachen haben:
• beide Preise könnten sich innerhalb der Schwankungsbreite üblicher Preise für diese Leistung bewegen, die geringere Höhe des zweiten Preises könnte lediglich auf einem Zufall beruhen;
• es könnte sein, dass das nicht-brennbare WDVS tatsächlich billiger ist als das schwer-entflammbare, womit die Pflichtverletzung des Architekten zusätzlich darin bestünde, nicht nur eine untaugliche, sondern auch eine teurere Maßnahme vorgeschlagen zu haben;
• der günstige Preis für das zweite WDVS könnte darauf zurückzuführen sein, dass der ausführende Unternehmer dem Eigentümer aufgrund besonderer Umstände ein besonders günstiges Angebot unterbreiten wollte (z.B. in Hoffnung auf einen weiteren Folgeauftrag);
• schließlich könnte der Preisrückgang allein darauf zurückzuführen sein, dass im Zeitpunkt der zweiten Maßnahme aufgrund einer geänderten Marktsituation für prinzipiell alle Anbieter geringere Kosten anfielen als im Zeitpunkt der ersten Maßnahme.
Von diesen denkbaren vier Ursachen kommt es nur im letzten Fall in Betracht, dass in den günstigeren Kosten der zweiten Maßnahme ein Vorteil liegt, den sich der Eigentümer auf seinen Schaden anrechnen lassen muss. Denn man darf durch einen Schaden keinen Gewinn erzielen, was hier allein durch die zeitlich verschobenen Ausführung der zweiten Maßnahme erfolgt wäre. Nur deshalb wäre der Bauherr in den Genuss eines Preisverfalls auf dem Markt gekommen, von dem sie im Fall des pflichtgemäßen Verhaltens des Beklagten nicht hätte profitieren können.
In den anderen drei Fällen muss sich der geschädigte Bauherr den „Vorteil“ nicht anrechnen lassen. Der Architekt muss den „teureren Fehler“ bezahlen, und nicht die „günstigere Reparatur“.
2. Ein Mitverschulden des Eigentümers lehnte der Senat des Kammergerichts ab. Ein Planer kann sich zwar gegenüber einem Bauherrn auf ein solches berufen, wenn ihm eine fehlerhafte Planung übergeben wurde – dies ist in ständiger Rechtsprechung zweifelsfrei.
Aber ein solcher Fall liegt nicht vor. Der Bauherr hat eben nichts „übergeben“ oder mitgeteilt, sondern gerade nichts gesagt, übergeben oder vorgegeben. Es hat vor allem nicht mitgeteilt/vorgegeben, die Wand zum Nachbarn sei keine Brandwand.
Ein solches Unterlassen von Auskünften stellt kein Mitverschulden dar.
Es ist vielmehr die Aufgabe des Architekten, alle notwendigen Parameter zu ermitteln (ggf. uner Mitwirkung des Eigentümers, was aber auch ein aktives Tun des Planers erwartet). Passiv auf richtige Zuarbeit zu hoffen erfüllt für den Architekten nicht die Vorgabe seines Vertrags, nach dem er alle Planungsleistung so erbringen hatte, dass die auszuführenden Leistungen entsprechend den anerkannten Regeln der Technik und genehmigungsfähig beschrieben würden.
Auswirkung für die Praxis
Die Entscheidung überzeugt.
1. Bereits aus einem streng-wirtschaftlichen Vergleich ergibt sich, dass der Schaden im teureren Ausbau liegen muss. Hätte der Architekt von vorne herein richtig geplant, wäre direkt und nur das nicht-brennbare Wärmedämmverbundsystem verbaut worden, für etwa 31.000 Euro. Der Eigentümer hätte entsprechend von Anfang an 19.000 Euro weniger für die Modernisierung ausgeben müssen – dass er bereit war, diesen Betrag zuzuschlagen und mehr zu investieren, verhindert nicht, dass er durch die Fehlplanung den entsprechenden Schaden erlitten hat.
Somit ist es konsequent, wenn alle Kosten des „falschen“ WDVS nebst dessen Abriss und Entsorgung als Schaden gewertet werden. Den Vorteil, jetzt 19.000 Euro zu sparen, muss sich der geschädigte Eigentümer nicht entgegenhalten (und abziehen) lassen. Es ist „sein“ Vorteil, nicht der des fehlplanenden Schädigers, also nicht ein Abzug, der dem Architekten zu Gute kommt.
2. Wer einen Planungsauftrag übernimmt, ist verantwortlich für die Aufnahme der Baubedingungen. Arbeitet ihm der Bauherr aktiv zu, darf sich – vorbehaltlich erkennbarer Fehler – der Architekt auf diese Zuarbeit verlassen. Stellt sich sich als falsch heraus, hat der Bauherr verantwortlich ursächlich am Schadenseintritt mitgewirkt und muss sich diese eigene Beteiligung als Mitverschulden („Schaden gegen sich selbst“) anrechnen lassen.
Dies gilt aber nur für aktive (falsche) Mitwirkung. Eine Mitwirkung ist von einem Bauherrn grundsätzlich nicht gefordert. Er darf stets den Architekten alles selbst machen lassen – was er ggf. mit einem höheren Honorar bezahlt, wenn Ermittlungen vorgenommen werden müssen, die der Bauherr nicht zur Verfügung stellt. Verhält sich der Bauherr so – und handelt hierbei nicht arglistig, was ein komplett anderer Fall wäre –, darf er sich allein auf den Architekten verlassen, der eben alle Leistungen zu erbringen hat, die für eine genehmigungsfähige, fehlerfreie Planung und Bauausführung nach dem allgemein anerkannten Stand der Technik geboten sind.
Ein Mitverschulden kommt nur in Betracht bei aktiver Vorgabe durch den Bauherrn – wobei anzumerken ist, dass diese auch im Wunsch der Weiternutzung von Drittarbeiten liegen können, also von anderen (z.B. Anlagen-/Tragwerks-)Planern oder Bauunternehmen oder -überwachern. Deren Fehler muss sich der Bauherr wie eigene Fehler zurechnen lassen, wenn er einen Architekten anhält, jene Vorleistungen zu nutzen.
Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann
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Stand: März 2019
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Stand: März 2019