Ausgesprochen gut – oder unausgesprochen einfach?

Geschuldeter Standard


OLG Stuttgart, Urteil vom 20.05.2014 – 10 U 111/13 (Nichtzulassungsbeschwerde durch BGH zurückgewiesen am 16.11.2016, VII ZR 145/14)

Schweigt die Leistungsbeschreibung eines Werkvertrags zu Details der Ausführung, insbesondere in Bezug auf eine bestimmte Qualität der Ausführung, kann Streit entstehen, ob „nur“ der allgemein anerkannte Stand der Technik geschuldet ist.

Sachverhalt
Eine Eigentümergemeinschaft möchte das Mannschaftsgebäude einer ehemaligen Kaserne sanieren und zu Wohnungen umbauen lassen. Sie beauftragt ein Bauunternehmen u. a. mit der Sanierung der Altbaufenster.

Nach der Baubeschreibung sollten die historischen Bestandsfenster in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt saniert und rauminnenseitig durch eine zweite, neue Fensterebene ergänzt werden. Im Verkaufsprospekt indes war zu den Fenstern ausgeführt, dass die vorhandenen Fenster aus Denkmalschutzgründen saniert werden müssten und innenseitig zusätzlich ein einfach verglastes neues Fenster eingebaut werde.

Der Handwerker sanierte die äußeren Fenster nur oberflächlich, sodass diese (weiterhin) nicht schlagregen- und winddicht waren. Die innere, zweite Fensterebene führte er in Doppelverglasung durch.

Die Eigentümer rügten dies als Abweichung von der Baubeschreibung und begehrten Schadensersatz in Höhe von über 60.000 Euro.

Zu Recht?

Problematik
In dem Fall „kollidieren“ die Beschreibungen der Baubeschreibung und diejenige des Verkaufsprospekts an einer Stelle: die Formulierung „einfach verglastes“ Fenster der zweiten Ebene ist nicht in der Baubeschreibung enthalten gewesen, sondern „nur“ im Verkaufsprospekt.

Damit konnte der Handwerker argumentieren, dass die Auswahl der Art der Verglasung (z. B. einfach oder doppelt verglast) nicht vereinbart sei. Es gebe somit eine ausdrücklich vereinbarte Beschaffenheit des zu erstellenden Werks, keinen definierten, ausdrücklichen Leistungserfolg in dieser Frage. Damit schulde der Handwerker „mittlere Art und Güte“ sowie den „allgemein anerkannten Stand der Technik“. Dieser sei vorliegend erreicht worden.

Die Eigentümer indes hatten eine Erwartungshaltung, die sich auch aus der Darstellung im Verkaufsprospekt ergab, der eine Verglasung („einfach“) beschrieb.

Hierbei ist zu beachten, dass im Werkvertragsrecht eine andere gesetzliche Wertung herrscht als im Kaufrecht: beim Kauf ist zum Sachmangel auch geregelt: „Zu der Beschaffenheit [üblicher Art und Erwartung] gehören auch Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder seines Gehilfen insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann, …“ Im Werkvertragsrecht besteht eine solche Vorschrift nicht.

Nach der Vorstellung der Erwerber wurde innenliegend „nur“ eine Einfachverglasung geschuldet, weshalb der Sanierungsaufwand der alten Außenfenster deutlich erhöht sein musste, damit insgesamt ein funktionierendes Werk nach dem allgemein anerkannten Stand der Technik entstehen würde. Die erfolgte Sanierung der Außenfenster entsprach dieser Vorstellung eindeutig nicht, weshalb dann die Forderung nach Schadensersatz berechtigt war.

Entscheidung
Das OLG Stuttgart hat (wie bereits zuvor das Landgericht Tübingen in I. Instanz) im Sinne der Auffassung der Eigentümer entschieden. Es hat den Handwerker zum Schadensersatz verurteilt.

Hierbei hat es insbesondere festgehalten, dass Leistungsbeschreibungen in Bauträgerverträgen nicht abschließend sind. Viele Details der Ausführung sind in ihnen regelmäßig nicht erwähnt oder genauer beschrieben. Daraus, dass ein bestimmtes Ausführungsdetail dort nicht erwähnt ist, kann aber nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass es nicht geschuldet ist. Es gilt eben das, was die Parteien wirklich wollten und übereinstimmend vereinbart haben.

Daher muss unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Vertrages geprüft werden, ob eine bestimmte Qualität der Ausführung stillschweigend vereinbart ist. Entsprechende Qualitätsanforderungen können sich nämlich nicht nur aus dem Vertragstext ergeben. Weiterhin sind Anhaltspunkte stets auch die sonstigen vertragsbegleitenden Umstände, die konkreten Verhältnissen des Bauwerks und seines Umfeldes, der qualitative Zuschnitt, der architektonische Anspruch oder die Zweckbestimmung des Gebäudes.

Damit hat das OLG Stuttgart aus den beiden Beschreibungssätzen geschlossen, dass die innenliegende zweite Ebene einfach zu verglasen war, und damit die Sanierung der Außenfenster höherwertig durchzuführen gewesen ist.

Mehr noch: ohne Beschränkung des Ausführungsstandards der Außenfenster war sogar ohne den Zusatz dort eine umfassende Sanierung vorzunehmen. Denn: die Vorgabe, dass „die historischen Bestandsfenster in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt saniert“ werden sollten (Baubeschreibung), ist auch einzeln genommen eindeutig, und umfasst eine Sanierung nach dem allgemein anerkannten Stand der Technik, wenn sich nicht aus anderen Umständen eine ausdrückliche Vereinbarung eines anderen Ausführungsstandards ergaben. Dies konnte das OLG nicht feststellen. Ohne für den Auftraggeber erkennbare Einschränkungen durften die Eigentümer einen Zustand erwarten, den sanierte Fenster bei einwandfreier, den anerkannten Regeln der Technik entsprechender Bauausführung erreichen – und zwar für sich, nicht nur durch die zweite Fensterebene. Dies konnte vorliegend auch nicht durch eine höherwertige Ausführung der Innenfenster (zweifach verglast) kompensiert oder geheilt werden.

Also hätte der Handwerker die Außenfenster so sanieren müssen, dass die Grundfunktionalität hinsichtlich Wind- und Wasserdichtigkeit im Rahmen der Sanierung erreicht wurde. Dies hat der berechtigten Erwartung der Eigentümer an die Fenster entsprochen, was durch die vertragliche Verpflichtung des Handwerkers, innenseitig lediglich einfach verglaste Fenster einzubauen, geradezu noch unterstrichen wurde.

Das OLG schließt mit deutlichen Worten: „Wenn [der Handwerker] die Erwartung von [Auftraggebern], dass die alten Fenster, wie auch sonst von Fenstern im Allgemeinen verlangt, wind- und wasserdicht sind, nicht erfüllen wollte, hätte sie in der Baubeschreibung mit einer ausreichenden Klarheit darauf hinweisen müssen, dass die alten Fenster nach der Sanierung nicht oder nicht vollständig die übliche Funktion von Fenstern übernehmen, sondern vor allem der Optik des Gebäudes dienen sollen. Es fehlt in den zur Vertragsauslegung heranzuziehenden Unterlagen jeglicher Hinweis einer Beschränkung der Sanierung auf optische Gesichtspunkte. Es kann danach nicht festgestellt werden, dass die äußere Ebene ausschließlich der Optik dienen sollte.

Auch wenn später in der inneren Fensterebene nicht, wie in den Angaben zum Gesamtobjekt ausgeführt, einfach verglaste neue Fenster eingebaut wurden, sondern eine Isolierverglasung verbaut wurde, führte dies ohne vertragliche Vereinbarung nicht dazu, dass sich der Sanierungsstandard für den Altbestand der Fenster reduziert hätte. Nach Auslegung des Vertrages mit den [Auftraggebern] war nicht eine wind- und wasserdichte Fensterkonstruktion unter Berücksichtigung beider Fensterebenen geschuldet, sondern eine Sanierung der Außenfenster sowie der Einbau von einfach verglasten Innenfenstern.“

Auswirkung für die Praxis
Oberste Stufe zur Prüfung, ob ein Sachmangel eines Gewerks anzunehmen ist, ist weiterhin die vereinbarte Beschaffenheit. Hierbei ist eben nicht nur an geschriebene Worte zu denken, sondern auch an das, was im Wege der Auslegung als „stillschweigend vereinbart“ zu gelten hat. Der anerkannte Stand der Technik ist hierbei eine Richtschnur, aber nicht die einzige: bei Lücken der Leistungsbeschreibung sind auch Umstände außerhalb der Baubeschreibung heran zu ziehen, die zur Willensbildung der Parteien maßgeblich waren. Hierbei kommt es – neben dem im Gesetz genannten Merkmal der vorausgesetzten Verwendung – auch auf Aspekte an, die der Auftraggeber aus anderen Ausführungen des Handwerkers kennt und in den Vertragswunsch einbezieht.

Solcherlei ergänzte Baubeschreibungen sind dann vertragliches Ausführungssoll, auch wenn sie nicht vollständig in einer Urkunde geschrieben sind. Abweichungen stellen einen Mangel dar, selbst wenn sie ggf. auch technisch funktionieren oder durchschnittlichen Erwartungen entsprechen.

Dies ist beachtlich auch in Bezug auf Qualitätsmerkmale der sonstigen Umstände. Entspricht die Optik vieler Bereiche eines Bauwerks einem beispielsweise gehobenen, luxuriösen, anspruchvollen Ambiente mit hoher Qualität, kann (ohne ausdrückliche Vereinbarung) nicht davon ausgegangen werden, dass andere Bereiche des Bauwerks nur minderen Ansprüchen genügen müssen. Hier ist die gleiche hohe Qualität, Optik, Haptik und Ästethik „vereinbart“, auch wenn die Leistungsbeschreibung an dieser Stelle keine Vorgaben notiert.

Es ist ohne weiteres erkennbar, welche Auswirkungen diese Entscheidung hat: Qualitätsmerkmale einzelner „Schlüssel-Teilgewerke“ (besonders gern im Wohnungsbau: hochwertiges Badezimmer) gelten auch für alle anderen Teilgewerke, wenn sich nicht aus den Umständen ergibt, dass punktuell nur das Bad aus dem sonstigen Durchschnitt der Bauausführung heraus ragen sollte. Wohlgemerkt: der dann für das gesamte Gebäude möglicherweise geltende Ausführungsstandard ist ohne zusätzliche Vergütung zu erbringen.

Auf die Baubeschreibung ist also weiterhin besonderes Augenmerk zu richten.

Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann
Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

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Stand: Oktober 2016

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Stand: Oktober 2016