12 years after

Vorschussanspruch und Mangelbeseitigungskosten


Der Auftraggeber kann einen Vorschuss zur Mangelbeiseitigung verlangen – der Auftragnehmer kann Mangel bestreiten und die Mangelbeseitigung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern.

Was passiert, wenn sich diese Rechte in einem Fall gegenüber stehen, in dem ein ganzes Haus neu errichtet werden müsste?


Fundstelle:
OLG Dresden, Urteil vom 2. Februar 2017, 10 U 672/12 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, Beschluss des BGH vom 04.09.2019, VII ZR 42/17)


Sachverhalt
Ein Bauherr beauftragt Ende 2007 die Errichtung eines Rohbaus für ein Einfamilienhaus zum Pauschalpreis vion knapp 110.000 Euro. Als die Fertigstellung des Rohbaus angezeigt wird, verweigert er die Abnahme und verweist auf Mängel: Partiell fehle der Klebemörtel, die Überbindemaße seien unterschritten, der Grundriss weise eine Winkelabweichung auf, am Sturzlager befänden sich durchgehende Stoßfugen und Ziegelstückchen, die Stoßfugenspalten seien zu groß und an zwei Stellen im Erdgeschoss fehle der Verband der tragenden Innenwände. Zudem sei die Beton-Fertigteil-Wendeltreppe nicht winkelgerecht eingebaut. Dies rügt der Bauherr im März 2008. Der Rohbauer verweigert die Mangelbeseitigung.

Da die Geltung der VOB/B vereinbart ist, kündigt der Bauherr den Bauvertrag nach § 8 Nr. 3 VOB/B und fordert vom Rohbauer den Vorschuss der Mangelbeseitigungskosten. Diese beziffert er für den Neubau des Rohbaus auf insgesamt gut 155.000 €. Der Rohbauer verweigert die Zahlung.

Zu Recht?


Problematik
Die Mängel sind zwischen den Parteien kaum streitig. Immerhin war die Standfestigkeit des Gebäudes nicht gefährdet. Streit besteht in den Maßnahmen, die erforderlich sind.

Der Rohbauer meint (mit sachverständiger Unterstützung), partielle Maßnahmen durch lokalen Mauerwerksaustausch, lokales Ausschneiden mangelhafter Mauerwerksfugen, Ausfüllen mit steifplastischem Mörtel und durch Aufbringen einer Putzarmierung wären aus technischer Sicht ausreichend; zudem könne die Treppe entfernt und vor Ort neu gegossen werden. Dies würde allenfalls Kosten von 28.900 € auslösen.

Der Bauherr steht (ebenfalls mit sachverständiger Unterstützung) auf dem Standpunkt, diese Mangelbeseitigungsarbeiten seien nicht geeignet, einen Zustand des Rohbaus herzustellen, der den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche. Es würden nicht sämtliche Fehler der Überbindemaße oder des fehlenden Klebemörtels beseitigt. Auch die Winkelabweichung im Mauergrundriss wäre noch vorhanden.

Zudem gab es Streit über einen ggf. verbleibenden merkantilen Minderwert: das Haus sei später weniger Wert, wenn es beliehen oder verkauft werden wolle, durch die weiterhin vorhandenen Restmängel. Der Minderwert wird durch einen Sachverständigen noch im reparierten Zustand auf satte 26 % beziffert.

Der Rohbauer beruft sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten nach § 635 Abs. 3 BGB, nach der der Unternehmer die Nacherfüllung verweigern kann, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Die eingeklagte Summe übersteige den Ursprungsaufwand erheblich – allein der Abriss schlägt mit 22.000 € zu Buche, einer Summe, für die ein guter Teil der Mängel beseitigt werden könne.

Es streitet also das Erfüllungsrecht des Auftraggebers mit der Verhältnismäßigkeitsregel des Rechts, auf die sich der Auftragnehmer beruft und nur geringere Nacherfüllungsleistungen zugesteht.


Entscheidung
12 Jahre nach Vertragsschluss entscheidet der BGH in seiner Nichtzulassungsbeschwerde, dass die Entscheidung des OLG Dresden aus dem Jahr 2017 zutreffend ist: der Rohbauer muss gut 155.000 € bezahlen, damit der Rohbau abgerissen und neu errichtet wird.

Das OLG Dresden begründet die Sache sehr ausführlich:

Zur Beseitigung der Mängel sind der Abriss und die komplette Neuerstellung des Rohbaus (bis auf die Bodenplatte) erforderlich. Die Treppe sei zudem neu zu gießen.

Der Bauherr muss nicht hinnehmen, dass durch punktuelle Nacherfüllungsmaßnahmen ein immer noch nicht vertragsgemäßer Zustand erreicht werde. Auf diesen Zustand nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik hat der Auftraggeber einen unmittelbaren Anspruch – auf der Erfüllung kann er beharren.

Dies gilt vorliegend auch vor dem Hintergrund des merkantilen Minderwerts: Zu berücksichtigen sind unter anderem der Verlust von Nutzungsmöglichkeiten, der Anfall erhöhter Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie eine verminderte Lebensdauer. Diese wurden durch einen Sachverständigen auf 26 % beziffert.

Hieraus schloss das OLG Dresden, dass die Funktion des Rohbaus nicht erreicht sei.

Dies schließt unmittelbar nach der Rechtsprechung ein Berufen auf die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten stets aus. Das Oberlandesgericht hat dies noch ergänzt: Die Unverhältnismäßigkeit ist nur in Ausnahmefällen anzunehmen, und zwar dann, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles das Bestehen auf einer ordnungsgemäßen Erfüllung einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Eine Mängelbeseitigung kann eben nicht in jedem Falle wegen hoher Kosten verweigert werden. Entscheidend sind die Interessen der Parteien im Einzelfall.

Gemessen daran ist vorliegend die umfassende Neuerrichtung des Werkes für den Senat nicht unverhältnismäßig.

Auch wenn die Statik des Gebäudes nicht gefährdet ist, muss der Kläger die Mängel nicht hinnehmen, die trotz lokaler Nachbesserung verbleiben würden. Ein erhöhtes Risiko von Putzrissen ist durch die partielle Nachbesserung nicht auszuschließen. Auch wenn eine Unterschreitung des Überbindemaßes nicht zwangsläufig zu einer erhöhten Rissgefahr führen müsse, sei es nur „wahrscheinlich“, dass durch die Maßnahmen das restliche Rissrisiko auf das Normalmaß zurückgebracht werden könne; „sicher“ sei dies jedoch nicht. Auch die Winkelabweichungen des Rohbaus könnten durch partielle Nachbesserungen nicht vollständig beseitigt werden.

Bei der Frage der Unverhältnismäßigkeit fällt dann für das Oberlandesgericht Dresden insbesondere auch der merkantile Minderwert des Gebäudes ins Gewicht. Dieser besteht in der herabgesetzten Verwertungsmöglichkeit der Bauleistung, wenn als Folge eines nicht zu beseitigenden Mangels oder nach Behebung beseitigbarer Mängel ein geringerer Verkaufspreis oder eine geringere Beleihbarkeit zu erwarten ist, weil die maßgeblichen Verkehrskreise im Vergleich zur vertragsgemäßen Ausführung geringeres Vertrauen in die Qualität des Gebäudes bzw. der Leistung haben.

Der Senat schätzte den merkantilen Minderwert dann auf 5 %.

Dass ein potentieller Käufer die Mängel und auch die lange Standzeit des Rohbaus bei der Bildung seiner Preisvorstellungen im Rahmen seiner Kaufentscheidung berücksichtigen werde, wie ein Sachverständiger ermittelt hatte, war auch für das Gericht zunächst nachvollziehbar, weil die Sachverständige den Wert nicht nur theoretisch errechnet, sondern mit einer Umfrage unter fachkundigen Personen belegt hatte.

Entscheidendes Kriterium war somit, dass trotz der geringen Funktionsbeeinträchtigung es dem Kläger insbesondere aufgrund dieses Minderwertes nicht zuzumuten war, das auch nach Überarbeitung mangelhafte Werk mit einem Minderwert von 5 % hinzunehmen.

Der Bauherr kann die vollständige Beseitigung der Mängel in der Weise verlangen, dass kein technischer oder merkantiler Minderwert verbleibt.

Wenn dies, wie hier, nur nur durch den Abbruch und die Neuerrichtung des Rohbaus erreicht werden könne, schulde der Auftragnehmer eben diese Leistung.

Daher wurde der Rohbauer entsprechend verurteilt – der Bauherr kann nunmehr nach 12 Jahren den Abriss und mangelfreien Neubau mit dem Vorschussbetrag des Rohbauers angehen.


Auswirkung für die Praxis
Das Verfahren zeigt drei Dinge:

Es ist hochgradig gefährlich für Auftragnehmer, wegen vorgeblich hoher Nacherfüllungskosten die Nacherfüllung zu verweigern. Wie jede Leistungsverweigerung führt diese Haltung nämlich zum sofortigen Verzugseintritt (mit allen unangenehmen Rechtsfolgen), wenn sich später herausstellt, dass dies unzulässig war.

Auch ein merkantiler Minderwert kann eine „Funktion“ eines Bauwerks beeinträchtigen und den Einwand unverhältnismäßiger Kosten aushebeln.

Auch sonst ist der Einwand des § 635 Abs. 3 BGB nur in Ausnahmefällen durchgreifend, nämlich wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls das Bestehen auf einer ordnungsgemäßen Erfüllung einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Dies wird grundsätzlich selten anzunehmen sein.

Die Nacherfüllungsrechte der Auftraggeber werden durch diese Entscheidung gestärkt:

Ist ein vorhandener Mangel durch Nacherfüllung nicht vollständig zu beseitigen, und beeinträchtigt dies die Funktion des Bauwerks oder hinterlässt an diesem trotz der Nacherfüllung einen merkantilen Minderwert, so ist durch den Auftragnehmer eine andere Art der Nacherfüllung zu gewähren, die diese Aspekte verhindert.

Im Zweifel kann sich dies dann als komplette Neuerrichtung der Bauleistung darstellen.

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Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann


Autor der Veröffentlichung: RA Heiner Endemann

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Stand: November 2019

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Stand: November 2019